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Kindergarten-Scholastiker

Sommerzeit. Reisezeit. Wir sind alle zusammen im Auto unterwegs. Unsere Söhne vertreiben sich die Langeweile mit ein paar scholastischen Gedankenspielereien. Unser Vierjähriger: "Ich fänd’s toll bei Gott zu sein. Gott kann zaubern." Darauf sein älterer Bruder: "Das weisst Du doch gar nicht. – Mama, das weiss er doch gar nicht. Wenn einer zu Gott geht, kommt er ja nicht wieder. Also kann er’s auch nicht wissen." Sein kleinerer Bruder versucht es mit mehr Nachdruck: "Doch. Das weiss ich wohl. Sonst wär Gott ja nicht Gott."

Der grosse Scholastiker Anselm von Canterbury hat im 11. Jahrhundert ähnlich argumentiert. In seinem ontologischen Gottesbeweis definiert er den Begriff Gottes als denjenigen, "worüber hinaus nichts Grösseres (Vollkommeneres) gedacht werden kann". Dieser Begriff ist nach Anselm gedanklich nur widerspruchsfrei nachzuvollziehen, wenn Gott auch wirklich existiert. Dem kann man selbstverständlich widersprechen, hat man auch über die Jahrhunderte bis zum heutigen Tag.

Anselm von Canterbury als junger Mann
St. Anselm ratlos

Inzwischen stehen wir im Stau. Eine gute Gelegenheit, meinen Mann, ebenfalls Pfarrer, der bisher so getan hat, als konzentriere er sich aufs Fahren, in den theologischen Diskurs mit einzubeziehen. "Was würdest Du dazu sagen?" - "Hm?" Mein Mann hat die beneidenswerte Fähigkeit, bei Bedarf gar nicht zu hören, dass und vor allem was jemand in seiner Umgebung gerade spricht. "Kann Gott zaubern?" Jetzt sieht er mich an, als ob ich nicht ganz bei Trost wäre: "Ob Gott zaubern kann? Seltsame Frage." Ich erkläre ihm, dass nicht ich das wissen will, sondern seine Sprösslinge auf der Rückbank.

Also muss der komplette Gesprächsgang noch einmal nacherzählt werden, ich nutze die Chance und bringe Christus ins Gespräch, der ja doch zurückgekommen ist. Das Argument wird allerdings von den hinteren Plätzen kühn zurückgewiesen, denn "der ist zurückgekommen, aber der hat nicht erzählt, ob Gott zaubern kann." Ich setze neu an und sage, dass Gott grösser ist und mächtiger, als wir es uns vorstellen können. Insofern könnte man vielleicht sagen, dass Gott zaubern kann. Mein Mann grinst. Ich zische: "Du könntest ja auch mal was zum Thema beitragen."

Die Rückbank-Theologen haben inzwischen das Thema gewechselt. "Mama, ist Gott bei uns?" Ich weiss, es ist eine Falle. Ich tappe hinein: "Ja, Gott ist immer bei uns." – "Aber wie kann Gott dann bei allen Kindern sein? Wenn er bei einem anderen Kind ist, in Amerika, dann kann er doch nicht hier sein." Ich gebe mich geschlagen: "Eigentlich wissen wir das nicht so genau. Wir glauben Gott einfach, dass es so ist, wie er gesagt hat." Erstaunlich, wie einen die schlichtesten Kinderfragen an den Rand des theologisch Sagbaren bringen.

Ich selbst habe in dem Moment nur noch eine Frage, die mich wirklich beschäftigt, und die auf Reisen sonst den Kindern vorbehalten ist: "Ist es noch weit?"

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