"Betet Ihr eigentlich vor dem Essen?" – "Nein, meine Eltern kochen eigentlich ganz gut."
Ich erzähle Ihnen heute ein Geheimnis! Naja, wenn es im Internet steht, ist es kein Geheimnis mehr, aber es ist trotzdem etwas, das nicht jede und jeder weiss. Bei Pfarrers daheim wird vor dem Essen nicht gebetet! Ui.
Es ist ja nicht so, dass wir über die vielen Jahre nicht verschiedene Anläufe in Sachen Tischgebet gemacht hätten. Wir haben es mit dem Anzünden einer Kerze als Symbol für unsere Dankbarkeit versucht, wir haben Gebetswürfel und Gebetskärtchen angeschafft, wir haben uns aufs Singen verlegt.
Die Singerei haben wir, wenn ich mich recht erinnere - es ist bereits lange her-, nach einem Mittagessen in einem Restaurant aufgegeben. Haben Sie schon mal in einem voll besetzten Restaurant das schöne Lied „Wer ist der König des Dschungels? Jesus!“ – selbstverständlich mit Bewegungen – zum Vortrag gebracht? Nein? Wir schon.
Irgendwie wollte sich in unserem Haushalt das Tischgebet einfach nicht etablieren. Eigentlich ein bisschen schade, wir würden gern etwas mehr Glaubensleben in Sachen Tischgebet vorweisen können. Aber so ist es nicht. Mangelt es uns an Disziplin? Sicher. An Disziplin und auch noch an vielen anderen wunderbaren Eigenschaften.
Warum ich Ihnen das erzähle? Weil es wahr ist. Und weil von der Wahrheit eine phänomenale Kraft ausgeht. Jemand hat einmal zu mir gesagt, wenn wir immer die Wahrheit sagen würden, wären wir frei. Mir ist schon klar, dass das manchmal unrealistisch ist und dass es ein steiniger Weg sein kann. Aber schon allein die Vorstellung hilft mir, wieder tiefer durchatmen zu können.
Die Idealvorstellungen, die ich von mir habe und die andere von mir haben, sind manchmal ein sehr enges Korsett. Sie können einem regelrecht die Luft abschnüren. Wenn ich die Wahrheit über mich erkenne und wenn ich immer mehr versuche, sie zu zeigen, dann befreie ich mich auch immer mehr von diesem Korsett. Dann kann ich wieder tief durchatmen.
Nein, ich bete in der Regel nicht vor dem Essen, auch nicht wenn Gäste zu Besuch sind, die das von uns erwarten würden. Ja, ich glaube, dass unser Leben auf geheimnisvolle Weise gehalten ist von der Macht und der Güte Gottes. Beides gehört zur Wahrheit meines Lebens.