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Omas iPad

«Ich hab Oma eine E-Mail geschickt. Bin gespannt, was sie antwortet», lässt mich unser ältester Sohn beim Abendessen wissen. «Wahrscheinlich gar nichts, ich glaub nicht, dass sie das Mail-Programm auf ihrem iPad öffnen kann», entgegne ich ihm.

Dazu muss man wissen, dass meine Mutter eher widerwillig akzeptiert hat, dass es hier und da wichtig ist, mit den modernen Möglichkeiten der Kommunikation vertraut zu sein. Zumal wenn ein Teil der Familie so weit weg lebt. Also hat sie sich inzwischen immerhin angewöhnt, ihr Handy zu laden, den Drucker einzuschalten, bevor sie etwas druckt und hin und wieder auf facebook zu schauen, was die Familie in der Schweiz so macht. Ab und zu drückt sie «gefällt mir», niemals würde sie einen Kommentar hinterlassen.

Ich schildere unserem Sohn, wie ich versucht habe, ihr via Telefon das Abrufen von E-Mails zu erklären. Dass ich selbst ein iPad vor mich hingelegt und jeden Schritt erklärt habe, dass ich ihr gesagt habe, «so, zuerst drückst du dies, dann öffnet sich jenes, da steht dann folgendes und dann siehst du das und das usw. usw.» Es hat nicht geklappt. Sie ist mit dem Gerät zum Nachbarn gegangen, und der hat dann das E-Mail-Programm für sie geöffnet.

Unser Sohn hört sich meine leicht belustigten Ausführungen an – noch bin ich in dem Alter, in dem er mich für meine technischen Fähigkeiten nicht auslacht, aber ich bin auf der Grenze und sollte von daher eigentlich nicht spotten – und stellt eine Frage, die mich sehr nachdenklich gemacht hat. «Hast du Oma auch mal gefragt, was sie sieht?»

Einen Moment lang bin ich sprachlos. Nein, das habe ich nicht. Ich habe keine Ahnung, was sie auf ihrem Bildschirm gesehen hat. Immer wenn sie gesagt hat, «da steht aber nirgendwo Posteingang», habe ich, zunehmend ungeduldig, entgegnet, «doch». Keinen Moment habe ich mich gefragt, ob sie gar nicht da ist, wo ich bin. Ich bin gar nicht darauf gekommen, sie einmal beschreiben zu lassen, was sie in jenem Moment gerade sieht, ihr sozusagen die Führung zu überlassen.

Ich denke, dass uns das, abgesehen von diesem Beispiel, häufiger passiert. Jemand bittet um unsere Hilfe, und wir übernehmen direkt die Führung, wir weisen den Weg, wir haben die guten Ratschläge. Uns gerät aus dem Blick, dass wir, beflügelt vom eigenen Bescheid wissen, vorneweg rennen und den anderen längst aus den Augen verloren haben.

«Wenn dich einer nötigt, eine Meile mitzugehen, dann geh mit ihm zwei», dazu fordert Jesus uns auf (Mt 5, 41). Es geht ums Mitgehen, nicht ums Vorausrennen. Vielleicht braucht es die zweite Meile, um zu verstehen, worum es dem anderen wirklich geht, wo er eigentlich hin will. Und, wer weiss, womöglich erhalte ich auf der zweiten Meile kostbare Hilfe vom anderen.

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